WG37 – Briefentwurf an Alma Mahler
Toblach oder nach Neubabelsberg im Zug, Samstag, 6. August 1910
Welche merkwürdige Ver-
teilung er hat Deine
Nähe und ich Deine Liebe
Ich bin Dir so herrlich
nahe gekommen, ich kann
Dir jetzt Dinge meiner Na-
tur bekennen, von denen
ich früher glaubte, sie würde
nie jemand erfahren, da sie
unverständlich sein müssen.
Ich wiederhole mir
alle 5 Min die Worte:
sie denkt jet unausge-
setzt an mich
\muß alles ###
Natur ###/
Du wirst mich ja recht verstanden
haben
u ein[e] geringe Mißgunst kann Mißtrauen
###, dem der Haß folgt
Du darfst unbedingt aus
Schonung nicht alles sagen, z.B.
wollte ich Dich noch erinnern, nicht
zu erwähnen daß Du auf meinem
Zimmer warst – hier knüpft
sonst das Mißtrauen an u
die grausamen Vorstellungen,
die er sich \wenn auch unberechtigt/ machen muß\te/ erspare
hast Du ihm hoffentlich erspart.
Wenn er \Dich/ wieder mit seiner
Liebe zu sehr martert, was
ich nun nicht mehr glaube
so sprich darüber ganz offen
mit ihm u versuche ihm
klar zu machen, daß es für
Dich und für ihn ein ruhiges
freundschaftliches Zusam-
menleben das einzig auf
die Dauer mögliche ist
Deine süße Nähe zu
entbehren! Anmut, holder
Liebreiz
Ich sehe nur noch Dich, jede Berglinie
jedes Farbenspiel dieser schönen Gegend
frei giebt mir Erinnerungen an Dich:
Auf die Erinnerungen – wie oft
kann ich jetzt zu Dir sagen – weißt
Du noch? Wie wid mir wird
schwach, wenn ich an Deine Küsse
und Umarmungen denke, auch
an die herben, die der Respekt
uns auferlegte
Dies selige Gefühl, daß Du
fort u fort an mich denkst.
Grüße Deine liebe
und tue ihr kein Unrecht, sie
wird gute Gründe gehabt haben,
wenn sie nicht gleich kam
ich habe so unbedingtes Vertrauen
zu ihr
Apparat
Überlieferung
, , , , , .
Quellenbeschreibung
3 Bl. (3 b. S.) – Viertel eines Papierbogens, kariert.
Druck
Erstveröffentlichung.
Korrespondenzstellen
Beantwortet durch AM14 vom 8. August 1910 (G.[ustav] ist ganz anders geworden. Er verfolgt mich nicht mehr mit seiner Sinnlichkeit – und da ist es zu ertragen – bis auf Weiteres): Wenn er \Dich/ wieder mit seiner Liebe zu sehr martert, was ich nun nicht mehr glaube so sprich darüber ganz offen mit ihm.
Datierung
Dieser sowie der folgende Briefentwurf WG38 sind in unmittelbarer zeitlicher Nähe zueinander und kurz nach WGs Aufenthalt in Toblach Anfang August entstanden. Offensichtlich reflektierte WG die Ereignisse und teilte AM seine Gedanken dazu mit. Aufgrund der Korrespondenzstelle in AM14 vom 8. August kann WG37 spätestens am 7. August verfasst worden sein, wahrscheinlicher ist jedoch der 6. August, WGs Abreisetag aus Toblach (s. AM13 vom Abend des 6. August, der bereits wieder nach Neubabelsberg adressiert wurde). Der Passus Ich sehe nur noch Dich, jede Berglinie jedes Farbenspiel dieser schönen Gegend frei giebt mir Erinnerungen an Dich lässt vermuten, dass WG sich gerade im Zug auf der Abreise von Toblach befand, die er, laut AM27 vom 3. September 1910, mit dem Mittagszug antrat.
Übertragung/Mitarbeit
(Marie Apitz)
(Jannik Franz)